Kommentar: Wieso uns das Wetter im Januar 2022 interessieren sollte
Milder Winter in Deutschland und Hitzerekorde auf der anderen Seite der Welt. Der Januar 2022 ist alles andere als normal! Lasst uns über das sprechen, was in den News gerade etwas untergeht.
Wir leben in Zeiten, in denen oft nicht mehr klar ist, was eigentlich nun "normal" ist. Und das auch im Bezug auf das Wetter weltweit. Jagt hier ein Extrem das andere, oder bewegt sich doch alles im normalen Rahmen? Zumindest was das Wetter betrifft, möchte ich etwas Licht ins Dunkel bringen. Apropos Licht: Starten wir in Deutschland und beim Sonnenschein, der in diesem Monat ungewöhnlich selten die Gemüter erhellt – oder doch nicht?
Status Quo des deutschen "Winter"-Monats
Beides ist richtig: Es war zu sonnig und zu trüb. Die Frage ist nur wo? Verglichen mit dem Klimamittel von 1961 bis 1990 ist es vom Ruhrgebiet bis Berlin und von Hamburg bis nach Regensburg im Januar deutlich trüber als normal und somit auch im Bundesschnitt. Ganz anders im Südwesten: Schon heute haben wir hier das Monatssoll mit teils mehr als 40 Prozent übertroffen – Azorenhoch und Lage oberhalb des Nebels sei Dank.
Wo viel Sonne ist, da fehlt meist der Regen und so muss ich mal wieder den Finger in die Trockenheitswunde legen. Der Januar 2022 wird mit einem deutlichen Minus in Sachen Niederschläge zu Ende gehen und das trotz Hochwasser. Wie schon im letzten Winter kommen in kurzer Zeit die größten Mengen zusammen – besonders in der Mitte Deutschlands - und abseits davon tröpfelt oder flöckelt es nur lausig vor sich hin. Das ist gerade ausreichend, um dem Tag einen Schmuddelwetter-Anstrich zu verpassen. Und dass kaum Schnee dabei ist, macht es nicht besser.
Januar ist in Deutschland zu mild
Und warum schneit es kaum? Keine Überraschung: Es ist mal wieder zu mild, viel zu mild. Nehmen wir die ersten 20 Tage des Januars und vergleichen sie mit dem Klimamittel, springt uns ein sehr deutliches Plus von knapp 4 Grad entgegen! Damit ist der Januar eher ein März oder November. Anfang des Monats sind Hartgesottene bei bis zu 18 Grad im Shirt draußen gewesen. Kühlere Phasen wie jetzt bringen uns zwar immerhin zwischendurch ein paar Flocken und Frost, aber Winter sieht natürlich anders aus.
Steckt der Winter nur woanders?
Okay, bei uns ist es mild, aber dann wird es ja woanders richtig eisig und tief verschneit sein, oder? Russland? Skandinavien? Sicherlich ist es dort deutlich kälter als bei uns und meist ist es auch weiß. Gleichzeitig zeigt sich auch über Russland immer wieder viel zu milde Luft. Auch der Eisschrank Sibirien hat ein paar Risse bekommen und friert meist im Sparprogramm. Auch Norwegen und Schweden hatten in diesem Winter schon ungewöhnliches Wetter, vor allem ungewöhnlich nasses!
Während es bei uns deutlich zu trocken war, sind die Tiefs mit ihren Niederschlägen über Norwegen gezogen und haben vor allem in den ersten Tagen und Mitte Januar zig, teils hunderte Liter Regen abgelassen. Hohe Pegelstände und immer wieder heftiges Tauwetter waren die Folge. Denn längst nicht alles, was runterkam war Schnee, im Gegenteil. Auch hier war es wiederholt sehr mild. Die norwegische Westküste ist durch den wärmenden Einfluss des Golfstroms zwar grundsätzlich keine Gegend für wochenlangen Dauerfrost, Temperaturen um 10 Grad gehören hier aber zu dieser Jahreszeit nicht hin. Passiert ist es mehrfach! Und selbst im Eisschrank Nordeuropas, in Lappland, taute es bis zuletzt tagsüber immer wieder. Erst aktuell kam die arktische Kälte wieder zurück.
Ein wenig mehr Winter gibt es phasenweise in Nordamerika. Hier liegen die Temperaturen tatsächlich immer wieder deutlich unter dem Klimamittel und Schnee und Eis breiten sich weit bis nach Süden aus. Das ist hier durch die Gestalt des Kontinents mit seinen Nord-Süd-ausgerichteten Gebirgen zwar gewöhnlich, aber wie schön ist doch etwas Normalität?
Der Norden schmilzt, der Süden glüht
Auch das ist der Januar 2022: Während gefühlt die ganze Welt auf einen Tennisspieler und sein australisches Visum blickt, ereignen sich in Australien klimatische Dinge mit globaler Bedeutung. Ohne großes Medienecho. Meine Meinung dazu könnt ihr euch denken.
Auf wetter.com haben wir natürlich darüber berichtet: Am 13. Januar 2022 wurde in Australien mit für uns unvorstellbar heißen 50,7 Grad der Allzeit-Hitzerekord eingestellt für Australien und die gesamte Südhalbkugel! Während sich bei uns einige über mildere Winter in Zeiten des Klimawandels freuen, werden im globalen Süden auch abseits Australiens ganze Staaten förmlich gegrillt.
Nachdem im Jahr 2021 Nordamerika eine beispiellose Hitzewelle ertragen musste, kocht nun Südamerika. Auch wenn der Allzeitrekord Argentiniens mit 48,9 Grad (glücklicherweise) noch nicht gebrochen wurde, so ereignet sich dort seit dem 9. Januar eine historische Hitzewelle samt Bränden, Stromausfällen und Cco. Tag für Tag werden Höchstwerte um 40 Grad, teils um 45 Grad gemessen. Nachts kühlt es in den Städten häufig nicht unter 30 Grad ab. Das sorgt auch dort für Hitzeopfer.
Selbst mitten in der Antarktis wurde an der argentinischen Polarstation "Belgrano II" mit 11,4°C ein neuer Wärmerekord gemessen. Betroffen sind auch Paraguay, Uruguay und der Süden Brasiliens. Apropos Brasilien: Wenige hundert Kilometer entfernt vom Hitzehotspot gibt es verheerende und langanhaltende Überflutungen. Wie weit wohl das Klima hier durch die Regenwaldabholzung schon aus den Fugen geraten ist?
Nicht normal! Und gerade deswegen sollten wir hinschauen!
Wenn ich also ein erstes Fazit zum Januar 2022 abgeben soll, dann gibt es da eigentlich nur eine Schlussfolgerung: Ja, der Winter bei uns unterliegt grundsätzliche großen Temperaturschwankungen. Dass ein Jahr deutlich milder als das andere ausfällt, ist normal. Dass schon wieder Rekorde fallen, nicht. Der Blick auf die langjährige Entwicklung bestätigt, dass der Klimawandel voranschreitet. Der Blick auf das globale Geschehen unterstreicht das sehr deutlich.
Da in den Wettervideos kaum Platz ist, lasst es mich hier einmal ganz deutlich sagen: Nein, es macht mir keinen Spaß, immer wieder aufzuzeigen, wie „unnormal“ Monate, Jahreszeiten oder auch einzelne Ereignisse sind. Es macht mich traurig, all diese Rekorde zu sehen. Manchmal wird uns Sensationslust vorgeworfen, wenn wir immer wieder intensiv darüber berichten. Das ist es nicht. Es gehört zu unserem Job. Und als Meteorologe empfinde ich es als meine Pflicht, immer wieder den Finger in die Wunde zu legen - auch und gerade dann, wenn in den großen nationalen Nachrichtenformaten wenig bis gar nicht darüber berichtet wird. Nur so kann ein Bewusstsein geschaffen werden. Und nur dann wird auch gehandelt.
Umso dankbarer bin ich, wenn ihr kritisch nachfragt, Kolumnen wie diese interessiert lest und mir und uns Rückmeldungen gebt. Danke dafür! Und umso mehr freue ich mich mittlerweile bei aller Wetterbegeisterung über stinknormale, durchschnittliche Wettertage. Ein Stück heile Welt.
P.S. Bist du auf Facebook? Dann werde jetzt Fan von wetter.com!
Zur News-Übersicht Klima