Revolution im Städtebau? Neue Erfindung gegen Hitzeinseln und Überflutungen
Großstädte sehen sich einer zunehmenden Belastung durch Extremwetter ausgesetzt. Der natürliche Wasserkreislauf ist durch Versiegelung gestört. Doch eine neu entwickelte Wasserhülle für Gebäude soll künftig das Städteklima verbessern.
Der Juli 2024 war einer der heißesten Monate seit Beginn der Aufzeichnungen, womöglich sogar Spitzenreiter. Das meldet die Weltwetterorganisation WMO. Gleichzeitig hält er eine 14-monatige Folge mit rekordhohen Temperaturen – und das global!
Besonders in Großstädten leiden die Menschen unter der enormen Wärmebelastung. Ballungsräume verwandeln sich in Hitzeinseln oder Hochwasserwannen. Laut einer Studie der Organisation Carbon Disclosure Project (CDP) sind vier von fünf Städten aus aller Welt bereits heute Extremwettereignissen ausgesetzt. In rund einem Drittel der Städte seien Niederschläge oder gar Überflutungen ein Problem. Auch in Deutschland werden Extremwetterlagen immer häufiger.
Hydroskin - Revolution im Kampf gegen Extremwetter?
Eine Architektin hat ein Material entwickelt, das Hausfassaden wetterfest machen soll. Sie ist biegsam und stabil, porös und reißfest, die Wasserhaut Hydroskin für Gebäude.
"Dieses neuartige Material kann den Kampf gegen die Folgen von Hitzewellen und Starkregen in Städten revolutionieren", meint dessen Erfinderin Christina Eisenbarth. Die Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart will die Fassaden von bestehenden und neuen Gebäuden nutzen, um an heißen Tagen zuvor gesammeltes Regenwasser zur Verdunstung und damit Kühlung einzusetzen.
Hydroskin besteht aus mehreren Textillagen, die durch Fäden auf Abstand gehalten werden. Das System wird nun im Freiluftversuch getestet: Derzeit steht ein Prototyp auf dem Campus der Universität Stuttgart. In bis zu 36 Meter Höhe wird erprobt, ob die Fassade das hält, was die Wissenschaftler sich nach Hunderten von Laboruntersuchungen von ihr versprechen.
Gegen Flut und Hitze - das Prinzip der "Schwammstadt"
Hydroskin soll sich wegen der großen Fassadenflächen besonders für Hochhäuser eignen. "Überdies trifft der Regen mit zunehmender Höhe schräg auf die Fassade, sodass ab etwa 30 Metern Gebäudehöhe mehr Regen über die Fassade aufgenommen werden kann als von einer gleich großen Dachfläche", erklärt die Erfinderin.
Und so funktioniert das Produkt im Detail: Das System ist außen von einer wasserdurchlässigen Membran umgeben, die nach Auskunft der Universität fast alle Regentropfen eindringen lässt. Eine Folie an der Innenseite leitet das Wasser nach unten ab. Dann kann es entweder in einem Reservoir gespeichert oder direkt ins Gebäudeinnere geleitet werden, wo es etwa für die Waschmaschine, die Toilettenspülung und Pflanzenbewässerung verfügbar ist. Bei Hitze wird die Textilfassade mit Wasser befeuchtet und kühlt durch Verdunstung somit das Gebäude und den umgebenden Stadtraum.
Das Konzept von Hydroskin ist Teil der Schwammstadt-Idee, die darauf abzielt, Wasser in Städten zu speichern und es verzögert wieder abzugeben, um die Auswirkungen von Versiegelungen zu mindern.
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Vergleich zu gewöhnlichen Gebäudeoberflächen
Stefan Petzold vom Naturschutzbund Deutschland Nabu sieht in Hydroskin eine Möglichkeit, das Leben in der Stadt angenehmer zu machen - ebenso wie grüne Fassaden, begrünte stillgelegte Kreisverkehre und umgewidmete Parkplätze.
"Mit solchen Entsiegelungen geben wir der Natur etwas zurück", sagt der Nabu-Referent für Stadtnatur. Dass Pflanzen im Bau wirtschaftliche Vorteile haben, so Petzold zeige das Beispiel der Humboldt-Uni in Berlin, die durch natürliche Kühlung statt Klimaanlage 15.000 Euro im Jahr spare. Die Investitionen für Hydroskin sind nach Angaben von Eisenbarth überschaubar: Ein Quadratmeter werde die Bauunternehmer mehrere Hundert Euro kosten, schätzt sie.
Die Universität Stuttgart nennt einige Zahlen: Während gewöhnliche Gebäudeoberflächen unter der sengenden Sommersonne Temperaturen von über 90 Grad erreichen könnten, senke Hydroskin die Temperatur auf bis zu 17 Grad herunter. Die aufgenommene Wassermenge reduziert den Abfluss, der durch versiegelte Flächen direkt in die Kanalisation gelangt und bei ausgeschöpfter Aufnahmekapazität zu Überschwemmungen führt. 5,7 Quadratmeter Hydroskin kühlen laut Eisenbarth so stark wie eine Klimaanlage mit 2500 Watt.
Bauunternehmer erprobt bereits Material
Umweltfreundlich soll auch das Material werden, das derzeit aus wiederverwendbarem Polyester und künftig auch aus PET-Flaschen hergestellt wird. Zudem kann es bedruckt werden. "Der Architekt kann den Gebäuden ein neues individuelles Gewand verleihen", erzählt Eisenbarth. Bedenken wegen möglicher Probleme in der Statik der Gebäude sieht sie nicht - ein Quadratmeter Hydroskin wiege in trockenem Zustand nur 1,2 Kilogramm, im nassen maximal 4,7 Kilogramm.
Die Wissenschaftlerin hat Hydroskin im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren der Uni Stuttgart entwickelt. Als Gründerin eines Start-Ups will sie die Technik rasch in die Baupraxis überführen.
Einen Abnehmer hat die gebürtige Saarländerin schon: Der bayrische Bauunternehmer Schubert-Raab will nach eigenen Angaben im Rahmen eines Projekts mit neuen Baustoffen für Nutzgebäude auch Hydroskin erproben.
Er testet noch mehr klimafreundliche Materialien: So untersucht er die Nutzung von Sturm- und Schädlingsholz für den Bau. Diese Alternative zum Ziegelstein bindet auch viel Kohlendioxid. Zudem prüft er Moospaneele, die im Innen- und Außenbereich von Gebäuden der Wärmedämmung, Luftreinigung und Kühlung dienen sollen. Ferner stehen in seiner Firma Lehmputze auf dem Prüfstand, die besonders viel Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben. Andere Unternehmen setzen etwa auf Solarzellen an der Wand oder auf spezielle Keramikfassaden.
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