RSV: Immer mehr Kinder erkranken an Atemwegsinfekt - "Katastrophenzustände"
Eine gefährliche Viruswelle geht um: RSV-Erkrankungen verlaufen meist harmlos, gerade bei Säuglingen und Kleinkindern kann das Virus aber für lebensbedrohliche Zustände sorgen.
Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) führen dem RKI zufolge insbesondere bei Kleinkindern vermehrt zu Erkrankungen und Krankenhauseinweisungen. In den kommenden Wochen sei mit weiter steigenden Zahlen zu rechnen, heißt es im RKI-Wochenbericht zur Entwicklung der Corona-Pandemie von Donnerstagabend.
Der Kinder-Intensiv- und Notfallmediziner Florian Hoffmann sagte der Deutschen Presse-Agentur zur Entwicklung bei Kleinkindern: "Es ist keine Kurve mehr, sondern die Werte gehen senkrecht nach oben."
"Katastrophenzustände" in Krankenhäusern
In mehreren Bundesländern, darunter Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, gebe es schon jetzt kaum ein freies Kinderbett in Kliniken mehr, sagte Hoffmann, Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) und Oberarzt im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München.
Er sprach von "Katastrophenzuständen" - Familien mit kranken Kindern müssten teils in der Notaufnahme auf einer Pritsche schlafen. Das sei für Deutschland ein Armutszeugnis. Viele betroffene Kinder seien schwer krank und müssten beatmet werden.
Chefarzt: "Wir sind am Limit"
Auch Chefarzt Hans Kössel sagt: "Wir sind tagtäglich am Limit bei der Aufnahme von Patienten." Er leitet seit mehr als 20 Jahren die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Westbrandenburg in Brandenburg an der Havel.
"Wir haben im Augenblick eine heftige RSV-Welle." Der gefährliche Erreger RSV - das Respiratorische Synzytial-Virus - hat die Lage in Kinderkliniken deutschlandweit verschlechtert.
Die Berliner Charité kündigte am Donnerstag an, angesichts der angespannten Situation ein Netzwerk für Kindermedizin mit den anderen Kinderkliniken Berlins einzurichten. "Auch wir müssen aus unserer Notaufnahme Kinder in andere Kliniken in Berlin und Brandenburg verlegen, was sich aufgrund der allgemein angespannten Situation jedoch oftmals schwierig gestaltet.", hieß es aus der Charité.
Bereits im Spätsommer 2021 hatte es eine unüblich hohe RSV-Welle gegeben - die Lage aktuell sei aber schlimmer, sagte Hoffmann. Nicht nur in Deutschland, generell auf der Nordhalbkugel gebe es ein "dramatisches epidemisches Geschehen".
Schon im Herbst so viele Grippe-Fälle wie in kompletter Vorsaison
Immer höhere Infektionszahlen
Rund 20 Länder hätten seit Oktober eine steigende Anzahl von RSV-Fällen registriert.
Betroffen seien viele Kinder von ein oder zwei Jahren, die - auch angesichts der Corona-Pandemie und der dagegen getroffenen Maßnahmen - bisher keinerlei Kontakt zum RSV hatten, erklärte Hoffmann.
In einem Wochenbericht des RKI heißt es, die Zahl akuter Atemwegserkrankungen generell sei nach Daten der Online-Befragung "GrippeWeb" im Vergleich zur Vorwoche deutlich gestiegen. In der Woche bis 20. November lag sie demnach mit etwa sieben Millionen über dem Bereich vorpandemischer Jahre.
"Werden diesen Winter nicht mehr alle versorgen können"
Zur Situation in der Kinderintensivmedizin will die Divi neue Zahlen - und damit einhergehende Forderungen und Lösungsvorschläge zur Verbesserung der Versorgung schwerstkranker Kinder - vorstellen. "Wir werden diesen Winter nicht mehr alle versorgen können. Die Kollegen landauf landab wissen nicht wohin mit unseren kleinen Patienten", sagt sagte Hoffmann.
Strukturen zur Bewältigung der Situation seien nicht vorhanden und die vorhandenen Register zur Bettensituation aus Zeitmangel oft nicht aktuell. "Wir müssten nun eigentlich Notfall-Mechanismen aktivieren, zum Beispiel Pflegepersonal aus der Erwachsenenmedizin hinzuziehen."
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Über RSV
An RSV kann man in jedem Alter erkranken, aber vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern ist der Erreger bedeutsam. Es kann sich um eine einfache Atemwegsinfektion handeln, aber auch schwere Verläufe bis hin zum Tod sind möglich.
Zu Risikopatienten zählt das RKI zum Beispiel Frühgeborene und Kinder mit Lungen-Vorerkrankungen, aber auch generell Menschen mit Immunschwäche oder unterdrücktem Immunsystem.
Beim RKI heißt es unter Berufung auf Schätzungen, dass RSV-Atemwegserkrankungen weltweit mit einer Inzidenz von 48,5 Fällen und 5,6 schweren Fällen pro 1000 Kinder im ersten Lebensjahr vorkommen.
Innerhalb des ersten Lebensjahres hätten normalerweise 50 bis 70 Prozent und bis zum Ende des zweiten Lebensjahres nahezu alle Kinder mindestens eine Infektion mit RSV durchgemacht. Im Zuge der Corona-Schutzmaßnahmen waren viele solche Infektionen allerdings zeitweise ausgeblieben.
Expert:innen rufen Risikogruppen zur Impfung auf
Angesichts der Welle von RSV- und Grippeinfektionen in Europa haben führende Gesundheitsexpert:innen Risikogruppen zur Impfung gegen Grippe (Influenza) und Covid-19 aufgerufen.
Gemeinsam stellten die Erreger eine Gefahr für die Gesundheitssysteme und Bevölkerungen dar. "Das unterstreicht, wie wichtig es für gefährdete Gruppen ist, sich gegen Influenza und Covid-19 impfen zu lassen, und wie wichtig es für alle ist, sich und andere vor Infektionen zu schützen", hieß es am Donnerstag in einem gemeinsamen Statement von EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, WHO-Regionaldirektor Hans Kluge und der Direktorin der EU-Gesundheitsbehörde ECDC, Andrea Ammon.
Während sich die Influenza-Viren A und B gerade schon früh in Europa ausbreiteten, sei Covid-19 weiterhin eine Bedrohung. Außerdem mache das besonders für Säuglinge gefährliche Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) zunehmend Sorgen.
Vor dem Hintergrund dieses Mixes aus verschiedenen Atemwegserkrankungen sei es schwierig, vorauszusehen, wie sich die Lage in diesem Winter entwickeln könnte. Deshalb mahnten die Gesundheitsexpert:innen an, Impfprogramme und Bereitschaftsmaßnahmen in den europäischen Ländern zu verstärken:
"Wir können es nicht oft genug sagen: Impfungen retten Leben." Auch jeder Einzelne könne mit Maßnahmen wie Händewaschen, Maskentragen und Abstandhalten dazu beitragen, dass sich die Infektionen weniger stark verbreiteten.
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