Winter 2017 Langfristprognose - Ein Hütchenspiel - Gastbeitrag von kaltwetter.com
Wie geht es mit dem Winter 2017 weiter? Derartige Prognosen von Meteorologen sind vergleichbar mit einem Hütchenspiel! Unter welchem Becher steckt die Antwort?
Kaum eine Frage beschäftigt den Winterliebhaber mehr als jene nach dem Verlauf des restlichen Winters. Dabei ähnelt er einem Glücksspieler, der seinen Einsatz bei dem bekannten Hütchenspiel mit drei Bechern und einer Nuss wagt. Denn drei mögliche Verläufe des Winters sind vom Februar 2017 bis zum 21. März 2017 möglich. Doch unter welchem der drei Becher hat das Klima die gefrorene Winternuss versteckt?
Der Meteorologe weiß es und der wetterkundige Leser ahnt es bereits seit langer Zeit: Langfristprognosen sind selten zuverlässig. Daher bieten sie auch keine absolute Gewissheit, sondern spielen mit Wahrscheinlichkeiten bei der Frage, welche Wetterlage sich langfristig durchsetzen kann.
Wir befinden uns damit ungewollt an einem Glücksspieltisch mit den Klimamodellen und dem Wettergott als Hütchenspieler. Gebannt verfolgen wir, wie Petrus die Becher verschiebt, bis uns Schwindel erfasst. Wir fragen uns gebannt, welcher der Becher einen Kaltwinter im Februar und März 2017 birgt, den wir uns vor allem im Flachland so sehr wünschen nach all den Jahren grausamer Enttäuschungen - trotz des aktuell kalten Januars.
Der erste Becher: Der Polarwirbel
Petrus wirbelt mit den Bechern, dann stehen sie still. Hämisch lächelnd blickt er uns an und eine Augenbraue zuckt auffordernd hoch. Betrachten wir also den ersten Becher. Er scheint immer noch ein wenig zu schwanken und vibriert vom Schwung der Hand des Wettergottes.
Der zitternde Becher erinnert an den Polarwirbel, der das Wetter im Winter mitbestimmt. Es handelt sich um ein gewaltiges Höhentief, das sich allein durch den sinkenden Sonnenstand und dem damit entstehenden Kälteüberschuss ab dem Herbst von selbst bildet. Seine Strukturen reichen von 30 Kilometern Höhe, beinahe an der Grenze zum Weltraum, bis hinunter auf den Boden.
Wann ist es wahrscheinlich, dass sich die Gewinnernuss und damit ein Kaltwinter unter dem Becher verbirgt?
Den Polarwirbel kann man sich wie einen prall gefüllten Kühlschrank vorstellen: Er ist vollgestopft mit Kälteköstlichkeiten, die nur darauf warten, von uns geplündert zu werden. Es klingt paradox, doch wenn der Polarwirbel stabil und stark ist, dann behält er die arktische Kälte für sich und schließt sich vor den mittleren Breiten und Europa ab. Der Kühlschrank ist zu!
Im Fall einer Schwächung des Polarwirbels bricht er am Außenrand in Wellen aus, ähnlich einem Kreisel, der langsamer wird und zu taumeln beginnt. Diese Wellenbewegungen, Rossby-Wellen genannt, können in Troglagen resultieren, bei denen arktische Kaltluft in Taschen transportiert wird und sich im günstigsten Fall über Deutschland legt.
[Bild 1: Starkes Minor Warming beim Polarwirbel auf 10 hPa am 28.01.2017 und Europas letzte Chance auf kalte Winterlagen im Februar 2017.
(c) www.wetterzentrale.de]
Derzeit zeigt der Polarwirbel tatsächlich ein sehr starkes Warming (siehe Bild 1), sodass unser Hütchenspielbecher förmlich zu glühen scheint. Für ein Major Warming sind aber nicht nur die Temperaturen notwendig, sondern auch eine Windumkehr in der oberen Stratosphäre von West auf Ost. Ob dies erfolgt, wird sich erst entscheiden, wenn wir dem Prognosezieltermin näher kommen und lässt viel Raum für Spekulationen in den Auswirkungen auf das Wettergeschehen in der Langfrist.
Eine nachhaltige Schwächung des Polarwirbels durch ein starkes Minor Warming würde nur 2 Wochen anhalten, doch ein Major Warming würde 2 Monate Auswirkungen auf unser Wetter haben. In beiden Fällen würden sich die Kaltwinterchancen in Europa erhöhen. Allerdings ist eine zeitlich so ferne Prognose äußerst unsicher und darf noch nicht als gesichert betrachtet werden.
Wir starren somit immer noch auf Becher 1 und rätseln, ob sich darunter die Gewinnernuss verbirgt. Die Chancen sind dank des starken Warmings nicht schlecht, aber möglicherweise sind die beiden anderen Becher vielversprechender? Schauen wir uns also Becher 2 an, zumal Hütchenspielmeister Petrus bereits ungeduldig wirkt.
Der zweite Becher: Die Quasi-bienniale Oszillation (QBO)
Der zweite Becher hatte sich noch bewegt, als die göttliche Wetterhand ihn verließ. Wir haben es genau gesehen! Der Becher rotierte ein wenig in die linke Richtung, also nach Westen. Was verrät uns das?
Der Becher trägt den unendlich komplizierten Namen "Quasi-bienniale Oszillation" oder "Quasi zweijährige Schwingung". Diese Bezeichnung hat lediglich den Zweck, uns mit wissenschaftlicher Rhetorik zu verunsichern! Denn im Grunde handelt es sich um eine ganz einfache Geschichte: Die Troposphäre, also die untere Luftschicht vom Boden bis in etwa 12-15 km Höhe, ist eine Schicht aus wechselnden Winden, Stürmen und ziemlich viel Chaos - Wetter eben und ein Spielplatz von Petrus. Doch die Stratosphäre, die oberen Luftschichten von 15 bis 30 km Höhe, ist erstaunlich stabil. Vereinfacht gesagt, gibt es dort nur eine Windrichtung. Entweder Westwinde oder Ostwinde. Diese wechseln sich alle 2 Jahre ab - weswegen es "quasi zweijährige" Schwingung heißt.
Die QBO bezeichnet somit die gegenwärtige Phase der Winde in der Stratosphäre.
[Bild 2: Darstellung der QBO. Graue Flächen = Westwind. Insbesondere die untere Stratosphäre bei 100 hPa (18 km Höhe) ist von Interesse. Wir befinden uns seit kurzem in einer Westwindphase. (c) FU Berlin, http://www.geo.fu-berlin.de/en/met/ag/strat/produkte/qbo/index.html]
Wenn der Becher nach links, sprich Westen gewackelt hat, dann spricht dies wohl eher für eine Westphase der QBO und genau das stimmt auch - leider schwenkte die QBO, ausgerechnet zu Beginn des Winters, von Ost auf West im Dezember um (vgl. Bild 2). Dass die Kältenuss unter diesem Becher liegt, ist somit ausgeschlossen. Warum? Weil eine Westwindphase der QBO die Westdrift, also die Westwinde in der Nordhemisphäre stärkt. Diese transportieren im Winter mildes und feuchtes Wetter nach Europa. Eine Ostphase, wie man sie beispielsweise auch im letzten richtigen Winter 2010/11 beobachtet hat, begünstigt hingegen Wetterverhältnisse, die Kaltluft nach Europa führen. Dabei wird der Atlantik mit Hochdrucklagen "blockiert", sodass die Westdrift nicht nach Europa durchdringen kann.
Ostlagen, die eiskalte, aber trockene Kontinentalluft von Sibirien nach Deutschland führen, können dann das Wetter bestimmen oder unter Mithilfe des Polarwirbels die Nordlagen, deren Tröge nicht ganz so kalte, aber dafür schneereiche Wetterlagen mit sich bringen.
Außerdem verhindert die Westphase der QBO auch ein mögliches Major Warming (vgl. oben), da die Windumkehr auf Ostwinde in der Stratosphäre erschwert wird. Ohne ein Major Warming erscheinen die Chancen auf einen Februarwinter jedoch deutlich reduziert.
Der zweite Becher scheint also ein absoluter Reinfall zu sein. Entschlossen teilen wir Petrus mit, dass die Kaltwinternuss nicht in Becher zwei zu finden ist. Doch dieser fordert uns auf, dass wir uns endlich entscheiden. Unser Blick fällt auf den letzten der drei Becher.
Der dritte Becher: Die Arktis und der Waccy-Effekt
Hinter dem dritten Becher versteckt sich ein großes Geheimnis. Dieses beantwortet die Frage, wie es denn auf den Kontinenten der Nordhemisphäre so kalt werden kann, obwohl wir in einer Epoche menschenverursachter Erderwärmung leben, die mittlerweile nach dem Menschen "Anthropozän" genannt wird.
Einer der bekanntesten US-Klimatologen, Dr. Judah Cohen vom AER-Institut, hat bereits 2013 in einem wissenschaftlichen Aufsatz das Prinzip verdeutlicht, das heute den Namen "WACCY" trägt: Die durch den "polaren Verstärkungseffekt" abnorm erhitzte Arktis, die allmählich stirbt, führt zu mehr Schneemengen in Sibirien und insgesamt kalten Kontinenten. Warm Arctic, cold Continents ergeben somit in einem Akronym unter Zuhilfenahme eines "y" das englische Wort "waccy", was "verrückt" bedeutet.
Dieses verrückte Klima zeigt sich überdeutlich in den Karten der Bodentemperaturanomalien in 2 Meter Höhe (vgl. Bild 3). Seit dem Oktober 2016 erwärmt sich die Arktis so stark, dass diese Wärme im Grunde die Skalen sprengt. 20 bis 30 Grad Celsius über dem Mittel deuten auf einen Sprung in der Klimakatastrophe hin, die beschönigend gerne "Klimawandel" genannt wird. Paradoxerweise ergeben sich daraus im Herbst und Winter kalte Wetterlagen auf den Kontinenten der nördlichen Hemisphäre.
Profitiert davon Europa?
Während in Sibirien als Folge des "Waccy-Effektes" lokale Kälterekorde registriert wurden, dringt diese sibirische Kälte über Ostlagen nur teilweise bis nach Deutschland. Wir leben in einem Land, das leider durch seine geografische Lage zu weit im Westen liegt. Wir sind, vereinfacht ausgedrückt, ein Anhängsel des eurasischen Kontinents, das wie eine Halbinsel im vom Golfstrom befeuerten warmen Atlantik liegt.
Dennoch könnte sich der Effekt kalter Kontinente in Verbindung mit einer Störung des Polarwirbels (vgl. oben) günstig auswirken, dass zumindest ein "normaler" Restwinter im Mittel 1961-1990 dabei herauskommt.
[Bild 3: Karte mit Temperaturanomalien auf 2 Meter Höhe am 09.01.2017. Deutlich ist die immer noch stellenweise 20 Grad zu warme Arktis zu erkennen. (c) Climate Reanalyzer (http://cci-reanalyzer.org), Climate Change Institute, University of Maine, USA, Daten: NCEP Global Forecast System (GFS)]
Auch der dritte Becher beim Glücksspiel verheißt somit nicht den Hauptgewinn eines Kaltwinters. Trotzdem ist es nun Zeit, sich zu entscheiden - was das Schicksal und die Zeit für uns übernehmen werden.
Egal, welchen Becher das Schicksal für uns wählt, indem es auf dem Schiff der Zeit vorantreibt und die Prognosen durch die harte Realität ersetzt werden: Unsere Chancen sind nicht optimal und uns wird jäh bewusst, dass es sich um ein Glücksspiel handelt. Denn das Wetter ist wie das Hütchenspiel ein ebensolches Glücksspiel. Versucht uns beim Hütchenspiel der mafiöse Spielleiter zu betrügen, so ist es beim Wetter der Chaos-Effekt. Dieser zaubert aus kleinen Änderungen der Anfangsbedingungen umso größere Prognoseunterschiede, je weiter wir in die Zukunft blicken wollen. Aus dieser meteorologischen Blindheit können uns auch (noch) keine computerbasierten Klimamodelle erlösen.
Milder Restwinter ab Februar wahrscheinlich
Die klimatischen Randfaktoren deuten mehrheitlich nicht auf einen Kaltwinter hin, sondern auf einen Normalwinter im Mittel 1961-1990 oder sogar milden Restwinter ab Februar 2017. Ob diese Randfaktoren wirksam werden, entscheidet sich immer in der meteorologischen Kurzfrist. In Zahlen ausgedrückt deutet das klimatische Glücksspiel zu 80% auf einen Normal- oder Mildwinterabschnitt und nur zu 20% auf einen Glückstreffer durch eine günstige Wetterlage oder durch ein starkes Warming beim Polarwirbel, wie es aktuell am fernen Horizont der Prognosen auftaucht. Auch die US-amerikanische NOAA sieht die beiden letzten (astronomischen) Wintermonate Februar und März 2017 leicht (Februar) bis deutlich (März) zu warm.
Hoffnung macht lediglich die in diesem Winter sehr hohe Ungewissheit der verschiedenen Faktoren, die einen überdurchschnittlich großen Spielraum für Überraschungen lässt. Sollte sich der Januar 2017 am Ende des Monats mit einer stabilen Winterlage präsentieren, wäre dies die Voraussetzung für fortgesetzte Winterverhältnisse. Zu rechnen ist aber wie so oft, aufgrund ungünstiger geografischer Faktoren Europas und der den Polarwirbel stärkenden QBO, mit einem überraschenden Abbruch des Winters zumindest im Flachland.
Wir begegnen realistisch betrachtet letztlich einem Ausgang des Hütchenspiels, das uns nicht behagen wird: Wettergott Petrus wird den vom Schicksal auserwählten Becher heben. All unsere Hoffnungen auf eine Fortsetzung des bislang wundervollen Januar-Kaltwinters bis zum 21. März 2017 werden wahrscheinlich in die Leere des ausgewählten Bechers fallen und verschwinden. Uns bleibt die Dankbarkeit für den kältesten Januar seit 2010 und das immerwährende Motto jedes Spielers und Winterliebhabers: Beim nächsten Mal wird alles besser - im Winter 2017/18.
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von www.kaltwetter.com