Eisiger Winter? Sibirischer Kälteklotz in Lauerstellung
Die Winterprognosen sind aktuell in aller Munde. Kai Zorn ist sich immer sicherer, dass der Winter 2016/2017 nicht mild verlaufen wird. Er rechnet eher mit dem Gegenteil.
Veröffentlicht: Di 15.11.2016 | 00:00 UhrEs knarzt im Gebälk! Es ist viele Jahre her und war im vergangenen Jahrzehnt, dass eine Kolumne einmal so hieß. Apropos: Ich habe gerade mal in meinem Archiv der Kolumnen-Überschriften gestöbert. Der absolute Kolumnen-Rekord stammt aus dem Dezember 2010 mit exakt 31 (damals nur) schriftlichen Kolumnen. Einer der spannendsten, wenn nicht der spannendste Monat schlechthin, seit wir uns in Kolumnen ausführlich mit dem Wetter beschäftigen - und das ist immerhin seit Oktober 2004 der Fall! Und der "Thriller-Dezember 2010" bleibt unerreicht...
"Standard" bei der Wettervorhersage weniger interessant
Bevor wir weiter in die Thematik einsteigen, müssen wir kurz über Wetter und Wettervorhersage sprechen. In manchen Kommentaren hier und bei Facebook wurde moniert, dass es einmal "es wird mild" und dann "es wird kalt" hieße und dass wir, oder ich, nicht wissen, was wir wollen bzw. ich will. Wenn wir das Thema Mittelfrist behandeln, bei der es explizit um die deutlich mildere Witterungsphase in dieser Woche geht und an anderer Stelle um die Situation um den Monatswechsel, dann sind das zwei gänzlich verschiedene Paar Schuhe.
In der Synoptik bzw. Wettervorhersage gibt es den "Standard" der kommenden rund 3 Tage. Der ist Pflicht und die absolute Basis. Nur geht es in meinen Kolumnen in den seltensten Fällen darum. Dieses Thema behandeln wir im Update und in den anderen Wettersendungen. Darüber hinaus gibt es die Mittelfrist und die "erweiterte Mittelfrist". Das sind die Kolumnen-Themen von mir und Bernd Madlener mit seinem Blickwinkel, wo er den 15-Tage-Trend zeigt. Hier zeigen wir die wahrscheinlichen Trends und Entwicklungen. Oft spannender als der inflationäre 3-Tage-Trend ;).
Langfristprognosen haben hohen Spannungsfaktor
Hinter der erweiterten Mittelfrist kommt die Langfrist, also Einschätzungen, die letztendlich die fass- oder erfassbare Modellwelt verlassen. Hier geht es um Strömungsmuster, es fließen Statistiken und viele andere Dinge mit ein. Beim Thema Langfrist liegt einerseits die "Fehlerquote" am höchsten, auf der anderen Seite ist dort auch die höchste Spannung.
In meinem erweiterten "Kollegen-Kreis" von "Wetterfröschen" gibt es welche, die das verschmähen und keine Wetterkarte anschauen, die über den 5. Tag hinaus geht und andere, die darin aufblühen. Da ballern wir uns gegenseitig Monate und Großwetterlagen um die Ohren, die unsere Ur-Ahnen erlebt haben und stellen uns vor, wie es wohl im Dezember 1788 gewesen sein muss, der mit minus 9,8 Grad nicht nur der kälteste Dezember seit 1761 war, sondern auch der kälteste Monat überhaupt in Mitteleuropa. In Chroniken und Büchern findet man hier sehr Spannendes!
Und dann, Freunde, sind wir in der Materie so richtig angekommen. Und darum geht es mir hier: Diese Materie des Wetters zu beleuchten, zu hinterfragen und mit Ihnen und Euch gemeinsam zu spekulieren...
Supermildwinter seit Oktober vom Tisch
Und genau das haben wir beispielsweise Ende Juli getan. Da sprachen wir darüber, dass der August die gefühlt kühle und vor allem nasse Serie beenden würde. Oder, und damit sind wir im aktuellen Fall, in den Spekulationen über den Winter 2016/17, der von A bis Z, von Nord nach Süd und von Ost nach West als der Supermildwinter ausgerufen wurde. Und das sah bis Ende September auch so aus. Dann aber kam der "Bruch" durch den Oktober. Dann ging die Fieselei los: Wann gab es das schon mal, wo gab es das schon mal, was passierte anno dazumal? Statistiken und Großwetterlagen habe ich durchwühlt und fand verblüffende Ähnlichkeiten mit diversen Jahren, die alles nach sich zogen, nur keinen milden Winter.
Doch ganz so einfach ist das auch wieder nicht, da wir vor mehreren Jahrzehnten noch einen Nordpol hatten, der mit Eis bedeckt war und nicht so eine vergleichsweise "warme Plörre" wie aktuell. Bis heute bin ich nicht auf den Supermildwinterzug aufgesprungen, sondern eher auf normal bis etwas zu mild.
Winter wird meiner Meinung nach richtig kalt
Inzwischen tendiere ich allerdings in Richtung kalt und zwar richtig, richtig kalt, denn: Wenn sich die "warme Plörre" am Nordpol nicht richtig auskühlt und den Polarwirbel in Gang schmeißt, gelten andere Gesetze.
Inzwischen lungert über Sibirien ein Kälteklotz. Und der ist böse, sehr böse. Und die Grundstrukturen der Nordhemisphäre laufen nicht von West nach Ost, sondern stocken gerade. Und wehe das Ganze geht retrograd westwärts und das Kältemonster fließt nach Westen, dann aber Nacht Matthes!
Großwetterlage über Europa baut sich um
Momentan - und das hatten wir in der Kolumne von Montag besprochen - baut sich die Großwetterlage über Europa um. Die Witterungsgrundlage zum Monatswechsel ähnelt sehr der von Ende November 2010. Allerdings währte dieser Winter nur 4 bis 5 Wochen, ehe dann der Winter mehr oder weniger durch eine Südwestspülung Anfang Januar beendet wurde. Der Winter 2010/11 kam brachial daher und wurde ebenso brachial wieder ad acta gelegt.
Länger währende und durchweg sehr kalte bzw. strenge Winter kommen anders. Sie kommen meist auf "leisen Sohlen" und unscheinbar daher. Oftmals dümpeln die Wetterlagen über Wochen hin und her. Es gibt nichts Halbes und nichts Ganzes. Es gibt keine nennenswerte Westdrift oder nur kurze Grüße vom Atlantik mit milder Luft samt Regen im November und dann schlummert die Wetterküche wieder ein. Es ist nicht richtig kalt, aber auch nicht richtig mild, es eiert einfach rum.
Und irgendwann im Laufe des Dezembers, meist zur Mitte und zum Ende hin, kommen die ersten richtig heftigen Kaltluftschübe bzw. Eisluftschübe. In einschlägigen Diskussionen mancher Foren wird der Winter 2016/17 schon wieder abgehakt, weil innerhalb der nächsten 2 Wochen keinerlei richtige Kaltluft in 1500 Meter Höhe da wäre. Da sage ich: Genau das wäre ein schlechtes Omen für einen Strengwinter! In der Ruhe liegt die Kraft und eile mit Weile.
Kälte sammelt sich zwischen Grönland und dem Baltikum
Bernd nimmt in seiner aktuellen Kolumne wieder die 15-Tage-Wettertrends unter die Lupe. Und diese zeigen in manchen Modell-Läufen nach zunächst sehr milder Luft auch schon erste Kaltluftvorstöße aus Norden zum Start in die Adventszeit. In anderen Läufen büchst die Kaltluft weiter nach Westen aus und wir bleiben noch in milder Luft. Und bei wieder anderen Läufen lungert die Kaltluft im Norden und will gar nicht zu uns; wichtig dabei: Die Kälte sammelt sich nicht zwischen Grönland und Labrador um das Atlantik-Tief anzuschüren, sondern sie sammelt sich direkt "über uns", zwischen Grönland und dem Baltikum. Ferner wird am Ende des Vorhersagezeitraums Anfang Dezember ein gigantisches Grönland-Hoch von teilweise 1060 hPa simuliert.
Damit werden die Grundpfeiler einer gänzlich anderen Witterungsannahme für den Winter gelegt als das so manches Jahreszeiten-Modell, wie das NOAA, gesehen hat. Hierzu die reine NOAA-Prognose von Hartmut Mühlbauer und dann die Veränderung des Modells, die wir am Sonntag besprochen hatten.
In solch behäbigen Langfristanalysen steckt jede Menge Stoff. Da ist einerseits das ganze Mildwinter-Tarah der Vorgeschichte aus diesem Jahr. Und das stimmt zweifelsohne. Nun kommen aber neue Fakten dazu, die nach und nach in das Modell einfließen. Drum verändert sich das von Lauf zu Lauf. Und mich würde es nicht wundern, wenn diese Veränderung weitergeht und wir in 2 bis 3 Wochen sogar die Annahme eines "Durchschnittswinters" präsentiert bekommen.
Wie ich schon vor einiger Zeit schrieb: Die Innerswyzer Wetterschmöcker prophezeihen einen strengen und schneereichen Winter. Schneereich gilt hier bitte für die Berge, sprich die Alpen. Außerdem sprechen die "Jungs" von einem sonnenscheinreichen Winter. Und auch das gilt wieder für die Alpen.
Verblüffende Ähnlichkeiten zu früheren Wetterlagen
Versuchen wir das Ganze mal in Großwetterlagen zu packen. Es gibt verblüffende Ähnlichkeiten in diesem Spätherbst mit den Spätherbsten von 1946 und 1962. Das ist keine Erfindung von mir, das ist Fakt. Das gucken wir uns mal in einem Video an. Darauf gekommen bin ich, als ich einem guten Wetterfreund den Wind aus den Segeln nahm, der wieder einmal, als Winter- und Schneefreund, alles schwarz sah. Er zeigte mir vor kurzem die Prognose für Mitte November. Er sah damit schon den Winter als "verloren" an. Ich ging ins Archiv und suchte vor Mildwintern eine ähnliche Wetterlage und fand sie nicht. Dann dachte ich mir, guck doch mal vor Strengwintern nach. Und Bingo: Diese Wetterlagen ließen sich mehr oder weniger übereinander legen!
Seinerzeit war es relativ ruhig ohne große Kaltlufteinbrüche oder brachiale Wintergewalt bis Mitte Dezember. Dann aber ging es los. Wiederholte Nord- und Ostlagen bescherten Schneefälle und heftige Polarluftvorstöße, die dann unter Hochdrucklagen zur Ruhe kamen. Eine vorhandene Schneedecke und Kälte wurden konserviert und lange Frostperioden schufen die kältesten Winter bzw. den kältesten Winter des vergangenen Jahrhunderts. Und diese Winter waren klassische Kernwinter, d. h. zur Zeit des Winters war es kalt. Der November war eher unauffällig und im Laufe des März' war es dann rum uns Eck, nicht so wie die "Sandwich-Winter", die am Anfang Schnee und Frost bringen, in der Mitte mildes Gesabber und am Schluss raus, wenn es keiner mehr will, Frost und Schnee.
Ich kann mir vorstellen, dass die Innerswyzer Wetterschmöker genau solch einen Kernwinter sehen mit recht wenigen, dafür intensiven Schneefallereignissen und dann ruhigen und bodennah kalten Hochdrucklagen. In den Bergen heißt das eben viel Schnee und Sonne. Im besten Falle gilt das auch für das Flachland in Sachen Sonne. Wie wir aber wissen, neigen winterliche Hochdrucklagen gerne zu Nebel und Hochnebel, wenn wir bodennah konservierte Kälte haben und in der Höhe Warmluft eintrudelt. Denn kalte oder strenge Winter entstehen nicht durch permanente Kaltluftzufuhr, sondern durch einen Kaltlufteinbruch und anschließend durch Hochdruck. Gerade kräftige Hochs mit Höhenwarmluft bringen unten anhaltende Kälte - wie beispielsweise die Smog-Winterlagen Mitte der 80er Jahre.
Es sieht immer mehr nach kaltem Winter aus
Halten wir als Fazit fest: Mit jeder ins Land ziehenden Woche sieht es kälter für die kommende Jahreszeit aus. Und mit jeder Woche intensiviert sich die auf den Kopf gestellte Zirkulation in der Nordhemisphäre. Der Nordpool bleibt pisswarm, Sibirien wird schockgefrostet. Teile Nordamerikas erleben eine Art Frühling. Die Druckabweichungen in der Nordhemisphäre nehmen weiter zu. Von Nordamerika bis Spitzbergen wächst der hohe Druck, drum herum vertieft sich der Luftdruck. Wenn das so weitergeht, springt die Ostdüse an.
Momentan läuft alles darauf hinaus, dass wir uns auf spannende Zeiten gefasst machen dürfen. Ziehen wir uns warm an... ;)