Arktis hat so wenig Eis wie nie! Das sind die Folgen für unser Winterwetter
Kaum eine Region ist vom Klimawandel so stark betroffen wie die Arktis. Das sehen wir derzeit eindrucksvoll. Das Eis der Arktis legt kaum zu. Die geringe Eisdecke hat auch Folgen für unser Wetter.
Gemäß des saisonalen Verlaufes sollte das arktische Meereis im Oktober eigentlich rasant wachsen. In diesem Jahr zeigt sich allerdings ein ganz anderes Bild: Die Eisbedeckung der Arktis ist so gering wie nie zu dieser Jahreszeit.
Historischer Tiefstand: Arktis friert nicht zu
Kaum eine Region bekommt den Klimawandel so deutlich zu spüren wie die Arktis. Gunnar Spreen, der Leiter der Sektion Fernerkundung der Polarregionen am Institut für Umweltphysik der Universität Bremen, äußert sich besorgt: In der sibirischen Arktis hat es in den Zeitskalen, die für die Menschen relevant sind, noch nie so wenig Eis gegeben wie derzeit.
Wie die Grafik unten zeigt, war die Ausdehnung der arktischen Eisfläche im Oktober 2020 so gering wie sonst noch nie im Oktober seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen vor rund 40 Jahren.
Dramatischer Rückgang: Klimawandel lässt Eisbedeckung schrumpfen
Üblich sind im zweiten Herbstmonat rund 8 Millionen Quadratkilometer Arktis-Eis. Laut jüngster Satellitendaten gab es am 27. Oktober 2020 aber nur rund 6,5 Millionen Quadratkilometer Eis. Das ist sogar weniger als im Rekordjahr 2012. Dieser Negativrekord ist besorgniserregend - vor allem wenn man berücksichtigt, dass das Eis bis Ende Oktober normalerweise rasant zulegen sollte.
Eiszyklus vom Gefrieren bis zum Schmelzen
Das arktische Eis erreicht normalerweise im März seine größte Ausdehnung. Anschließend schmilzt das Eis am Nordpol und legt ab September wieder zu.
Im September 2012 war die Eisdecke auf ein absolutes Minimum von 3,4 Millionen Quadratkilometer geschrumpft. Im Gegensatz zur aktuellen Lage wuchs das arktische Meereis bis Oktober 2012 relativ schnell. Nach dem diesjährigen Minimum im September von 3,74 Millionen Quadratkilometern blieb die rasante Neubildung des Eises im vergangenen Monat allerdings aus.
Klimawandel hemmt Eiswachstum in der Arktis
Schuld daran ist der Klimawandel. Derzeit liegen die Temperaturen in den nördlichen Breiten deutlich über dem langjährigen Klimamittel. Dort sind von Januar bis September 2020 Abweichungen von rund 4 Grad, in Sibirien sogar 5 Grad festzustellen, wie in folgender Grafik zu erkennen ist:
Hitzewelle brachte Rekordtemperaturen in Sibirien
Diese enorme Temperaturabweichung in Sibirien ist unter anderem auf die ungewöhnliche Hitzewelle im Juni 2020 zurückzuführen. Dabei wurden in Werchojansk in Jakutien, einer der kältesten bewohnten Orte der Welt, Temperaturrekorde von 38 Grad gemessen. Die sibirische Hitzewelle (und die verheerenden Brände innerhalb des Polarkreises) haben den Eisrückgang an den arktischen Küsten beschleunigt.
Der Grund für den starken Eisverlust in diesem Sommer liegt nicht nur an den hohen Sommertemperaturen, sondern auch darin, dass sich bereits im letzten Winter in den russischen Randmeeren überwiegend dünnes Eis gebildet hat, das schon im Frühling rasch geschmolzen ist.
Derzeit ist die Lage aber nicht viel besser. Ebenfalls hohe Abweichungen gibt es nämlich derzeit bei den Meeresoberflächentemperaturen rund um die Arktis. Im Oktober 2020 lagen die Werte deutlich über dem Klimamittel. Die hohen Wassertemperaturen verzögern das Eiswachstum in der Arktis. Die hohen Luft- und Wassertemperaturen setzen dem Eis sowohl von unten als auch von oben zu. Das Minimum der arktischen Eisfläche im September 2020 war ebenfalls deutlich kleiner als das Mittel, wie diese Grafik zeigt:
https://twitter.com/NOAANCEIclimate/status/1317485551029833728
Albedo-Rückkopplungseffekt verstärkt Erwärmung
Die Eisdecke spielt eine wichtige Rolle im Klimasystem. Die helle Oberfläche reflektiert nämlich einen großen Anteil des Sonnenlichts in den Weltraum zurück. Im Gegensatz dazu absorbiert der dunkle Ozean viel Sonnenlicht.
Das Problem dabei: Durch das Eisdefizit ist das Wasser länger eisfrei, das wiederum von der Sonne stärker erwärmt wird. Folglich bleibt weniger Zeit für die Eisbildung. Weniger Eis im Winter hat eine stärkere Erwärmung zur Folge. Dieser Effekt beschleunigt sich also gegenseitig. Man spricht von einem sogenannten Rückkopplungseffekt. Ein warmer Ozean trägt also zur Erderwärmung bei.
Kipppunkt! Das "ewige" Eis schwindet in enormer Geschwindigkeit
Die Arktis erwärmt sich noch viel schneller als der Rest der Welt. Sie ist sozusagen das Epizentrum der globalen Erwärmung - mit Erwärmungsraten, die mindestens beim Doppelten des globalen Erwärmungswertes liegen, so Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Warum die Arktis mit ihrem Eis eine Schlüsselstelle bzw. ein sogenannter Kipppunkt des Weltklimas ist, zeigen wir dir in diesem Video:
Das Eis schmilzt so schnell, dass die Arktis wahrscheinlich nicht 2050, sondern bereits 2035 im Sommer komplett eisfrei sein könnte, mahnt Sybille Klenzendorf, Arktisexpertin beim WWF Deutschland.
Die Folgen der katastrophalen Entwicklung bekäme auch Deutschland zu spüren. Extremwetterereignisse wie Sturmfluten oder Trockenperioden würden dadurch in Mitteleuropa begünstigt.
Polarstern erforscht Klimawandel in der Arktis
Die Forscher an Bord des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern haben die rapide Eisschmelze im Sommer hautnah miterlebt. Ein Jahr lang driftete die Polarstern angedockt an eine riesige Eisscholle durch die Arktis. "Das Eis am Nordpol war völlig aufgeschmolzen, bis kurz vor dem Pol gab es Bereiche offenen Wassers", so Rex. Dort, wo normalerweise dichtes mehrjähriges Eis war, ist die Polarstern in Rekordtempo durchgefahren.
Die Wissenschaft verspricht sich von den Daten und Proben von Eis, Schnee, Ozean und Atmosphäre wichtige Erkenntnisse. Ziel der Forschung in der Arktis ist unter anderem, das Zusammenspiel zwischen Klimawandel, Atmosphäre und Ozean besser zu verstehen. Denn die Arktis fungiert als eine Art Frühwarnsystem von Klimaveränderungen.
Hat Eisrückgang Auswirkungen auf den europäischen Winter?
Die Pole beeinflussen das Wetter und Klima in den niedrigeren Breiten, wo Hunderte Menschen leben. Die genauen Folgen des geringen Meereises in der Arktis lassen sich noch nicht im Detail abschätzen. Fest steht aber: Durch weniger Eis verschieben sich die Luftströmungen. Diese Auswirkungen könnten dann auch bei uns in Mitteleuropa spürbar werden.
Durch den wärmeren Nordpol verringert sich der Temperaturgradient zwischen Arktis und Tropen. Dieser Temperaturunterschied ist der Hauptmotor des Jetstreams, ein Starkwindband in rund zehn Kilometern Höhe. Nimmt der Temperaturgradient ab, schwächelt der Jetstream. Ein langsamer und stärker mäandrierender Jetstream begünstigt wiederum Wetterextreme, da die Wetterlagen oft eingefahren sind und Hochs bzw. Tiefs lange an Ort und Stelle bleiben. Wie der Klimawandel und der Jetstream zusammenhängen, hat sich unser Meteorologe Gernot Schütz bereits im Hitzesommer 2018 angeschaut.
Dieses Starkwindband gibt es nicht nur in den gemäßigten Breiten, sondern auch in den polaren Gebieten: Es umgibt den sogenannten Polarwirbel. Anders als der intakte Polarwirbel verläuft der gestörte Polarwirbel nicht kreisförmig. Durch die geringe Ausdehnung des Arktis-Eises steigt die Wahrscheinlichkeit für einen gestörten also instabilen Polarwirbel. Wird der Polarwirbel nicht nur gestört, sondern sogar geteilt, sprechen wir Meteorologen von einem Polarwirbelsplit.
Ob die Langfristmodelle ein Polarwirbelsplit sehen und wie der Winter in Deutschland startet, zeigen wir dir in der Dezemberprognose am Anfang des Artikels.
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